Zur Wiederwahl von Präsident Pervez Musharraf
Samstag, der 6. Oktober 2007 war wieder ein denkwürdiger Tag in der 60-jährigen Geschichte der Islamischen Republik Pakistan. Nur einen Tag nachdem die Regierung in Islamabad eine „Verordnung zur nationalen Aussöhnung“ erlassen hatte – nichts anderes als eine Amnestie für wegen Korruption angeklagte Politiker – gab es gewalttätige Demonstrationen in vielen Landesteilen. Sie waren die Begleitmusik zu einer Wahl, in der mit Pervez Musharraf ein amtierender General und Oberbefehlshaber der Armee zum Präsidenten gewählt wurde. Das Ergebnis ist allerdings noch nicht offiziell, denn der Oberste Gerichtshof entscheidet erst in zwei Wochen, ob Musharraf überhaupt hätte kandidieren dürfen, und ob die Wahl insgesamt legal war.
Gleichwohl hat Musharraf in einer landesweiten Botschaft am Abend seiner Partei gedankt – ohne einen einzigen Hinweis auf das noch schwebende Verfahren. Im Gegenteil, pathetisch rief er aus, dass er „...sein Haupt in Dankbarkeit vor Gott dem Allmächtigen neige, der ihm einen solchen Sieg geschenkt habe“. Diesen höheren Mächten kann sich vielleicht dann auch der Oberste Gerichtshof nicht mehr entziehen. Zumal Musharraf genau wie 2004 versprochen hat, die Uniform binnen ein paar Wochen abzulegen. Dieses Mal hat er allerdings schon einen Nachfolger als Armeechef bestimmt.
Bliebe es bei dem Ergebnis, wäre Musharraf für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Mit 384 von 702 möglichen Stimmen sieht das Ergebnis überzeugend aus. Warum die Wahl trotzdem als Farce bezeichnet werden kann, beschreibt der Anhang zu Ergebnis und Verfahren der Präsidentenwahl 2007.
Einen ersten Stimmungsbericht samt Einschätzung des politischen Szenarios vermittelt das Live-Interview das der Deutschlandfunk am Samstag, 6. Oktober mit Gregor Enste, zum Zeitpunkt der Stimmenauszählung, führte.
Hintergrund der Wahl war ein politischer Kuhhandel. Zum einen sollte die Macht von Präsident Musharraf und des Militärs, zum anderen der früheren Premierministerin Benazir Bhutto frei von Strafverfolgung eine Rückkehr aus dem Exil gesichert werden.
Im Ergebnis gibt es allerdings nur Verlierer. 1999 wurde der unblutige Coup, mit dem sich Musharraf an die Macht putschte, in weiten Teilen der Zivilgesellschaft als Chance begrüßt, einen Schlussstrich zu ziehen unter die zutiefst korrupten, das Land ausplündernden Zivilregierungen unter Nawaz Sharif und Benazir Bhutto. Die Armee hatte hohes Ansehen in Pakistan, hat dieses aber mittlerweile dadurch verspielt, dass sie sich wie eine Krake der gesamten Gesellschaft bemächtigt und ein Finanz- und Wirtschaftsimperium aufgebaut hat, das ganz Pakistan dominiert.
Die schon immer vorhandene Schwäche der Legislative, die ihrer Rolle als Kontrollorgan der Regierung nie gerecht werden konnte, ist in den letzten Jahren zu einer Krise des parlamentarischen Systems an sich geworden. Die Wahl 2007 war nur die Krönung einer langen Folge von Ränkespielen und Verantwortungslosigkeiten gegenüber dem Wähler. Parlamentarier haben ein sehr schlechtes Ansehen. Parteipolitik ist für die meisten Pakistani abstoßend, und für die teilweise exzellenten Einzelpersonen in der Zivilgesellschaft gibt es keine Perspektiven und auch keinen Anreiz, politischen Wandel über Parteien zu erreichen.
Leider hat auch die dritte Gewalt, die Judikative in Form des Obersten Gerichtshofs, stark an Ansehen verloren. Nach der Entlassung des Obersten Richters Iftikar Chaudry durch Musharraf am 9. März 2007 ging ein Proteststurm durch das Land, der erste Anzeichen einer neuen sozialen Bewegung erkennen ließ. Es ging um Würde, um Unabhängigkeit und um die Wahrung der letzten rechtsstaatlichen Bastion. Mit der im Juli erreichten Wiedereinsetzung des Obersten Richters hatte diese Bewegung der Mittelschicht allerdings ihren Zenith überschritten und wurde dann von der Parteipolitik vereinnahmt. Gleichwohl waren große Erwartungen an die Unabhängigkeit und Kontrollfunktion der Justiz geweckt worden, die vor zwei Wochen auf das Tiefste enttäuscht wurden, als der Oberste Gerichtshof in einer ersten Entscheidung die Kandidatur von General Musharraf als verfassungskonform einstufte. Im Wirrwarr der vielen Verfassungsänderungen, die es seit dem Militärputsch gegeben hatte, gab es eine Lücke, und die Mehrheit der unter Musharraf eingesetzten Richter konnte oder wollte wohl nicht gegen ihn entscheiden. Die Enttäuschung darüber drückte sich in gewalttätigen Protesten aus. Die eingangs genannte erneute Eilentscheidung von Freitag, dem 5. Oktober, einen Tag vor der Wahl, ist auch als Versuch des Gerichts zu verstehen, einen Teil seiner Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen.
Am nächsten Wochenende wird in Pakistan Eid-ul-Fitr gefeiert, und damit das Ende des Fastenmonats Ramadan – die höchsten Feiertage im Islam. In Pakistan mag jedoch keine Feiertagsstimmung aufkommen. In den Stammesgebieten und in Teilen der Nordwestgrenzprovinz haben militante Taliban und Al Qaida ganze Bezirke übernommen und der staatlichen Kontrolle entzogen; das Gewaltmonopol liegt zum Teil bei Warlords und den sie unterstützenden Privatpersonen. Täglich gibt es Anschläge auf staatliche Einrichtungen, Nicht-Regierungsorganisationen werden bedroht, junge Männer mit subtilem Zwang für den Dschihad rekrutiert und Mädchenschulen gewaltsam geschlossen.
Die Gewalt reicht bis in das nur 70 Kilometer entfernte Islamabad. Nicht weit entfernt von der Hauptstadt Pakistans haben die Taliban die Armee mit Selbstmordanschlägen überzogen und bisher über 250 Soldaten entführt und deren Hinrichtung auf Video dokumentiert. Angesichts dieser Lage, die den Staat bis zum Zerfall strapaziert, kann das Machtspiel von Militär und Parteipolitik in Islamabad nur als obszön bezeichnet werden.
Am 17. Oktober will der Oberste Gerichtshof über die Rechtmäßigkeit der Präsidentenwahl entscheiden, und am 18. Oktober will Benazir Bhutto nach Pakistan zurückkehren. Es bleiben spannende Zeiten, aber der notwendige radikale demokratische Neuanfang wird auf sich warten lassen.
In einer Fachkonferenz für geladene Experten am 22./23. Oktober und einer öffentlichen Veranstaltung am 22. Oktober, wird die Heinrich-Böll-Stiftung versuchen, mögliche Wege aus Pakistans Dauerkrise zu erörtern. Anwesend sein werden hochrangige pakistanische Wissenschaftler, Autoren und Menschenrechtsanwälte wie Ayesha Siddiqa, Pervez Hoodhboy, Ruksanda Naz und Abbas Rashid.
Ergebnis und System der Präsidentenwahl 2007 in Pakistan
Der Präsident der Islamischen Republik Pakistan wurde in geheimer Wahl von den zwei Kammern des Parlaments gewählt (Unterhaus / National Assembly und Oberhaus / Senat) und gleichzeitig in den vier Provinzparlamenten von Sindh, Belutschistan, Punjab und der Nordwestgrenzprovinz NWFP.Es standen fünf Kandidaten zur Wahl, allesamt Männer. Neben dem amtierenden Präsident Pervez Musharraf unter anderem noch Wajihuddin Ahmed, ein ehemaliger Richter als „Kandidat der Zivilgesellschaft und der Anwälte“ und Makhdoom Ameen Fahim, der Kandidat der größten Partei Pakistans, der PPP von Benazir Bhutto.
Das Ergebnis sieht auf den ersten Blick überzeugend für aus. Musharraf gewann 384 von möglichen 702 Stimmen – davon allein 252 von 257 Simmen in der einflussreichsten Vertretung, der National Assembly. Der integre Ex-Richter Wajihuddin Ahmed gewann nur zwei Stimmen, der Kandidat der PPP keine einzige. Normalerweise nennt man das einen erdrutschartigen Sieg. In Wahrheit sind sowohl das Ergebnis als auch das dahin führende Verfahren bizarr und spiegeln die Widersprüchliche des politischen Systems Pakistans wider. Die Wahl war eine Farce.
Theoretisch wären 1.107 Parlamentarier berechtigt gewesen, ihre Stimme abzugeben. Bis zum Tag der Wahl hatten davon, in einem von der Opposition angeführten Versuch, die Abstimmung zu verhindern, 170 ihre Mandate zurückgegeben. Am Tag der Abstimmung blieben weitere Oppositionsabgeordnete der Abstimmung fern. Die größte Oppositionspartei, die PPP (Pakistan’s Peoples Party), entzog sich in allerletzter Minute ebenfalls der Abstimmung – obwohl sie einen eigenen Kandidaten aufgestellt hatte, der entsprechend auch keine einzige Stimme bekam. 702 Parlamentarier beider Häuser des Parlaments und der Provinzparlamente waren am Tag der Abstimmung anwesend – aber bei weitem nicht alle gaben ihre Stimme auch ab. Da die einfache Mehrheit der abgegeben Stimmen zählt, spielte dieses ärmliche Quorum letztendlich keine Rolle.
In der Nationalversammlung in Islamabad gab es 257 gültige Stimmen, 252 davon für General Präsident Musharraf. Dieses Ergebnis von fast 100 Prozent wurde auch in zwei der anderen Provinzen erreicht. Der bisherige Amtsinhaber, der sich 1999 an die Macht geputscht und sich 2001 selbst zum Präsidenten ausgerufen hatte (2002 von derselben Wahlversammlung bestätigt) brauchte sich eine weitere Amtszeit nur absegen zu lassen. Die Stimmenverhältnisse in den Parlamenten, die in Gänze die Wahlversammlung bildeten, ließen das zu.
Eine Grafik der BBC verdeutlicht die derzeitigen Stimmenverhältnisse in den sechs Volksvertretungen (Unterhaus/National Assembly und Oberhaus/Senat auf Bundesebene und vier Provinzparlamente). Das in Grüntönen markierte Lager stellt die Pro-Musharraf Allianzen dar. Die Provinzparlamente und die National Assembly sind für fünf Jahre gewählt. Die aktuelle Wahlperiode endet am 15.11.07, und binnen 90 Tagen muss dann neu gewählt werden.
Die Grafik spiegelt damit auch das derzeitige parlamentarische Kräfteverhältnis und die Ausgangslage für die Parlamentswahlen 2008 wieder.
- PML-Q ist die Partei General Präsident Musharrafs
- PML-N ist die Partei von Nawaz Sharif, der im Exil lebt und nicht zurück nach Pakistan darf
- PPP ist die Pakistan Volkspartei von Benazir Bhutto, die auf Lebenszeit als Parteivorsitzende gewählt ist und am 18.10. aus dem Exil zurückkehren will
- MMA ist das Bündnis religiöser Parteien, das in der Nordwestgrenzprovinz NWFP allein die Regierung stellt.